Vee Boonyasak strotzte stets vor Energie und liebte es, neue Erfahrungen zu machen und in heikle Situationen zu geraten. Aber mehr als alles andere liebte sie ihr Schlagzeug. Schon früh brachte sie sich das Spielen selbst bei. Sie beschäftigte sich auch mit traditionellen Instrumenten und Stilen, aber besonders moderner Rock hatte es ihr angetan. Als sie 18 war, konnte sie jedes Lied aus dem Radio nach nur einmaligem Hören nachspielen.
Als junge Erwachsene besuchte sie Konzerte und sah Tik and the Kicks. Sie verliebte sich sofort in den rohen Sound der Band. Tiks Stimme hatte etwas Raues, Drängendes, und Krits großartige Gitarrenriffs erfüllten den ganzen Raum. Das einzige Problem war der altersschwache Drumcomputer, der ewig brauchte, um zwischen den Songs zu wechseln. Aber dennoch ging ihr ihre Musik nicht mehr aus dem Kopf. Es gab keine CDs oder andere Fanartikel, sie konnte sie nur live hören. Also folgte sie ihnen von Show zu Show und lernte die einfachen Beats, die der Drumcomputer von sich gab.
Als die Band schließlich als Vorband für eine legendäre Gruppe aus der Umgebung auftreten durfte, schien der Durchbruch nah. Beim Soundcheck auf der großen, unklimatisierten Bühne schwitzten sie wie verrückt, als das Unglück passierte: Der Drumcomputer knackte und rauchte und gab den Geist auf. Sie beluden gerade ihren Van, als Vee ihnen anbot, mit ihnen zu spielen. Das Schlagzeug des Veranstalters war immerhin schon bereit. Da die Band nichts zu verlieren hatte, ließen sie Vee spielen, und das Publikum war begeistert. Selbst Tik und Krit schienen durch ihren ungestümen, lauten Stil und ihre ungezügelte Energie noch mal verjüngt zu werden. Ab dem nächsten Tag war sie Bandmitglied.
Nachdem sie ein paar Wochen lang miteinander geprobt hatten, befanden sie, dass es Zeit für einen neuen Namen wurde. Vee schlug vor, einen Teil des alten Namens beizubehalten: Axekick. Vor einem bescheidenen, aber dankbaren Publikum, das nur wegen ihnen gekommen war, hatten sie ihren ersten Auftritt mit neuem Namen. Vee ließ ihren Freund Mos die Show aufnehmen und online stellen. Es dauerte nicht lange und sie hatten Fans auf der ganzen Welt. In ihrer Freizeit gestaltete Vee T-Shirts und Aufnäher. Axekick veröffentlichte eine EP online. Langsam konnten sie von ihrer Musik leben.
Als Tik der Band Aufnahmen eines seltsamen Phänomens in einem verlassenen Opernhaus in der Stadt zeigte, erwachte der Adrenalinjunkie in Vee. Sie wollte unbedingt dort spielen. Tik und Krit waren sofort überredet – eine wilde Show auf einer großen, verlassenen Bühne versprach, der Auftritt des Jahrhunderts zu werden.
Am Abend vor dem Konzert sahen sie sich den Veranstaltungsort an. Alles war staubig und schmutzig, die Dielen knarrten bei jedem Schritt. Es war perfekt. Hinter der Bühne befand sich eine Garderobe mit muffigen, alten Opernkostümen und kaputten Kassetten. Da sie noch Zeit hatten, schnappten sie sich ein paar Klamotten und legten eine Kassette ein. Aber was sie da hörten, ließ sie zusammenfahren: geisterhafte, unnatürliche Geräusche, Stimmen, die im Zimmer umherzutanzen schienen. Verstört nahmen sie die Kassette aus dem Gerät und machten sich eilig aus dem Staub.
Am nächsten Tag war das Opernhaus voll. Axekick spielte besser denn je. Die Menge rastete aus. Schweiß sammelte sich auf Vees Stirn, als sie in der drückenden Hitze immer lauter und schneller spielte. Doch durch die Schreie der Menge hörte sie noch etwas anderes: die Stimmen von der Kassette.
Sie schloss die Augen, um sie auszublenden, konzentrierte sich nur auf den Rhythmus. Der Jubel der Menge rückte in den Hintergrund, als sie sich in der Zugabe verlor. Als das Lied zu Ende war, öffnete sie die Augen und konnte kaum etwas sehen. Sie wischte sich übers Gesicht, dachte, es wäre der Schweiß, aber es war etwas anderes: ein dichter, schwarzer Nebel.
Das Publikum war verschwunden. Tik und Krit waren verschwunden. Sie konnte nur noch das Echo ihres Schlagzeugs in der Ferne hören. Sie stand auf und ging in die tiefschwarze Dunkelheit, um ihre Freunde zu suchen.
